Überleben mit ME/CFS: Ärzte & Co. 

Mein Behandlungsteam

ME/CFS ist eine schwere körperliche Erkrankung

Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom ist eine schwere chronische Krankheit unklarer Genese. Während eine bakterielle Entzündung oder Fußpilz durch geeignete Medikamente in ihrer Ursache bekämpft werden können, geht das bei ME/CFS nicht. Das liegt nicht daran, dass keine Störungen in verschiedenen Organsystemen nachgewiesen werden konnten, im Gegenteil. Leider sind aber aufgrund ihrer Vielzahl weder die Auslöser der Krankheit noch die Gründe für die Aufrechterhaltung und Chronifizierung soweit verstanden, dass man dagegen in der Breite vorgehen kann.

ME/CFS ist eine komplexe Multiorganerkrankung

Es gibt Menschen, die aus diesem Grund ME/CFS als psychosomatische Erkrankung ansehen. Nach aktuellem Stand der Wissenschaft ist diese Vorstellung jedoch falsch. Unter anderem wurden bisher krankhafte Prozesse im Herz-Kreislauf-System dokumentiert, im Nervensystem, im Hormonhaushalt und im Zellstoffwechsel. Bisher fehlt allerdings ein Konsens über den konkreten Auslöser für den Übergang in eine chronische Erkrankung sowie über die Reihenfolge, in der sich die krankhaften Prozesse im Körper aufbauen. 

Erschwerend kommt hinzu, dass ME/CFS möglicherweise nicht eine einzige Krankheit ist, sondern aus mehreren Unterklassen bestehen könnte, die unterschiedliche Auslöser aber einen gemeinsamen symptomatischen Endpunkt haben. Auch kann man noch nicht vorhersagen, wie schwer eine ME/CFS bei der einzelnen Person ausfallen wird und welche Medikamente und Maßnahmen eine Besserung bringen werden.

Behandlung von ME/CFS

Die Ursache von ME/CFS kann nicht behandelt werden, aber es gibt zahlreiche Möglichkeiten, zu versuchen, Symptome zu lindern, das Risiko für Begleiterkrankungen zu reduzieren und die Lebensqualität zu verbessern. Eine Garantie gibt es leider nicht.

Sehr informative Webseiten mit empfohlenen Lebensstiländerungen und Behandlungsvorschlägen findest du unter https://www.longcovid-shortstories.de/hilfreiche-links/me-cfs

Hervorheben möchte ich an dieser Stelle besonders
https://www.mecfs.de/
https://cfc.charite.de/fuer_patienten oder https://cfc.charite.de/fuer_aerzte

und in englischer Sprache  (ggf. übersetzen mit z.B. Google Translate)
https://cfsselfhelp.org/library
https://www.mayoclinicproceedings.org/article/S0025-6196(23)00402-0/fulltext

Neben wertvollen Informationen zu Pacing, zur Reizreduktion und zu Maßnahmen bei Schmerzen gibt es eine ganze Reihe frei verkäuflicher Nahrungsergänzungsmittel und Medikamente, die bei ME/CFS-Patienten Besserungen hervorrufen können.
Gerade für Schwer- und Schwerstbetroffene kann jede neue Substanz ein Los in der Gesundheitslotterie werden – oder zu einem Balanceakt auf dünnem Eis. Therapieversuche sollten deshalb im besten Fall unter Begleitung durch eine Person erfolgen, die sich nicht nur mit Medikamenten auskennt, sondern auch Erfahrung mit ME/CFS-Patienten hat.

Alles,was wirkt, hat auch Nebenwirkungen

Nicht von ungefähr lautet ein oft zitierter Spruch unter Mediziner:innen wie Pharmazeut:innen: “Alles, was wirkt, hat auch Nebenwirkungen.” Besonders bei den potenteren Kandidaten wie Schmerzmitteln, Antidepressiva oder hochdosierten Vitaminpräparaten können schwerwiegende Probleme auftreten, die u.a. Magenblutungen, Herzrhythmusstörungen und Vergiftungen umfassen.

Deshalb ist die Beratung durch einen erfahrenen, vertrauenswürdigen Arzt oder eine erfahrene, vertrauenswürdige Ärztin sehr wichtig. Denn nur sie können abschätzen, welche Nebenwirkungen im Einzelfall wahrscheinlich auftreten werden oder vielleicht auch vernachlässigbar sind. Dabei ist es wichtig, dass der Patient dem Arzt vertrauen kann, dass dieser eine wohlüberlegte Entscheidung trifft, und der Arzt dem Patienten vertraut, dass dieser sich an die verabredete Dosierung hält und ehrlich Feedback zu seinen Erfahrungen im Zuge der Medikamentenwirkung gibt.

Medikamente bei ME/CFS

Viele Menschen mit ME/CFS reagieren sehr, sehr empfindlich auf Medikamente, weshalb üblicherweise das Starten einer Medikation mit einem Drittel oder Viertel der normalen Dosis empfohlen wird. Wird diese “homöopathische” Wirkstoffkonzentration toleriert, kann je nach Wirkstoff langsam, z.B. alle drei Tage gestaffelt, die Dosis erhöht werden, bis die Zieldosis erreicht ist.

Ebenso langsam werden bestehende Medikationen abgesetzt; statt also abrupt ein Medikament abzusetzen, sollte es über mehrere Tage oder Wochen ausgeschlichen werden. Dies gilt oft auch für gesunde Menschen, um einen Rückfall, Notfall oder Entzugssymptome zu vermeiden. Aufgrund dieses Risikos sollten Dosisänderungen in jede Richtung mit dem behandelnden Arzt oder der Ärztin abgesprochen werden.

Medikationsänderung: ja, nein und wann?

Eine Orientierungshilfe bei der Entscheidung, wann und ob man ein neues Präparat getestet oder eine Dosisänderung vorgenommen werden soll, können folgende Punkte geben:

  • Es kann günstiger sein, Medikamente in guten Phasen auszuprobieren und nicht während der Akutphase eines Crashs, da Nebenwirkungen besser abgefedert werden können. Schmerzmittel können dabei eine Ausnahme darstellen.
  • Unverträgliche Medikamente sofort absetzen und ggf. nach ein paar Tagen noch einmal in niedrigerer Dosis probieren.
  • Wirkung und Verträglichkeit von Präparaten kann sich über den Lauf mehrer Monate in beide Richtungen ändern.
  • Wenn möglich, sollte die bisherige Medikation über die letzte Zeit konstant gewesen sein, je nach Medikament und Halbwertszeit rechne ich dafür mit drei bis sieben Tagen.
  • Eine Liste von getesteten Präparaten und Reaktionen kann den Behandelnden Hinweise geben, für oder gegen weitere Produkte sprechen. Ebenso können so ggf. bestimmte Zubereitungen oder Zusatzstoffe leichter als Auslöser von Nebenwirkungen identifiziert werden.
Quod non est in actis, non est in mundo

Was nicht in den Akten ist, das ist nicht in der Welt, das wussten schon die Römer.

Je nach Schwere der ME/CFS-Erkrankung, bereits zusätzlich bestehenden Erkrankungen oder Risikofaktoren und Begleiterkrankungen kann es hilfreich sein, Ärzt:innen und Therapeut:innen mehrerer Fachrichtungen aufzusuchen.

In Deutschland ist es insbesondere bei gesetzlich versicherten Personen üblich, dass der Hausarzt oder die Hausärztin eine koordinierende Position einnimmt, bei der alle Stricke zusammenlaufen, alle Medikamente und Erkrankungen bekannt und dokumentiert sind. Ich empfehle trotzdem jedem Patienten, alle Befunde, jeden einzelnen Laborwert und eigene Notizen wie Symptomtagebuch, Blutdruckwerte in einem ggf. digitalen Ordner aufzubewahren. Dieser Tipp ist auch in meinem Beitrag Bürokratie leicht gemacht (in Arbeit) zu finden.

Mein Behandlungsteam hält mein Leben in den Händen

Ausgehend von meinem Hausarzt und meiner Psychotherapeutin startete mein persönliches Behandlungsteam 2021/22. Den zugehörigen langen und steinigen Weg beschreibe ich in meinem Beitrag Psychotherapie mit und ohne ME/CFS.
Im Laufe der Zeit kamen weitere Ärzte hinzu, meistens wegen neuen Symptome oder Behandlungsansätzen. So fand ich einen ME/CFS-Experten, einen Neurologen und einen Gynäkologen, die ich weiterhin so regelmäßig aufsuche, wie es mit Bell 20 eben geht.
Dabei waren Empfehlungen aus der ME/CFS Community pures Gold wert!

Diese Konstellation nenne ich mein Behandlungsteam und für mich gibt es ein paar grundlegende Punkte, die neben der fachlichen Eignung für oder gegen einen Arzt oder einen Therapeuten sprechen. Das beginnt dabei, dass ich mich persönlich bei Männern meistens wohler fühle als bei Frauen und am Ende ist es eine Mischung aus Bauchgefühl, Arbeitsweise und Charakter, nach der ich meine Behandler:innen auswähle.
Denn ich lasse mich nur von Ärzten behandeln, denen ich vertrauen kann und wo ich ein gutes Gefühl bei dem Gedanken habe, dass mein Leben in ihrer Hand liegt. Denn das tut es.

Meine ideale Arzt-Patienten-Beziehung

Über die letzten Jahre hat sich ein Arztbesuch für mich vom angstbesetzten Spießrutenlauf zu einer Art Meeting entwickelt, bei dem wir gemeinsam an einem Projekt arbeiten, und dieses Projekt heißt “Meine Gesundheit und mein Wohlergehen”. Dabei bringt mein Arzt sein Wissen, seine Erfahrung und seine Risikoeinschätzungen ein, während ich der Experte für meinen Körper, meine Empfindungen, Wahrnehmungen und (patho-)physiologischen Abläufe bin. Es passiert nicht selten, dass ich trotz neuer oder starker Symptome keine Änderungen im Blutbild habe oder in einer Weise auf gut untersuchte Medikamente reagiere, die die Person hinter dem Schreibtisch mit großen Augen als “sehr interessant” bezeichnet. Das ist ein Satz aus der medizinischen Fachsprache und bedeutet: “Ich habe absolut keine Ahnung, was da los ist.” 

Auch wenn es auf den ersten Blick entmutigend scheint, das gemeinsame Lernen, Ehrlichkeit, Vertrauen und ggf. auch das Eingestehen von kleinen Wissenslücken sind ein wichtiger Bestandteil einer guten Arzt-Patienten-Beziehung bei komplexen und unerforschten Erkrankungen wie ME/CFS.

ME/CFS: Real Life Struggles

Ich vertraue meinen Ärzten und meiner Therapeutin mein Leben an. Ich würde sie alle als empathische, starke und fachlich versierte Menschen einschätzen. Doch auch mit all ihrem Wissen, Erfahrungen und Bemühungen fühlt sich meine teils experimentell anmutende Therapie oft an wie planloses Fischen im Trüben. Während es bei anderen Erkrankungen große und gut finanzierte Forschungsbemühungen sowie Therapiepläne, Leitlinien und Fachgremien gibt, fehlt all das bei ME/CFS. Sowohl den Betroffenen und ihren Angehörigen als auch den behandelnden Personen.

Es sind nicht einzelne Symptome, sondern das ME/CFS-Gesamtpaket inklusive umfassender Perspektivlosigkeit, Einsamkeit, Ungewissheit und Unkontrollierbarkeit,  das mich immer wieder mutlos und allein zurücklässt mit einer schweren chronischen lebensverändernden Erkrankung.


Beitrag veröffentlicht

in

, , ,

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert