Mein Weg zur Diagnose, Teil 2

Was bisher geschah…
Nach 9 Monaten Long Covid konnte ich im Januar 2022 an einer Studie der MHH Hannover teilnehmen. Gleichzeitig bekam ich endlich einen Termin in der Long Covid Ambulanz. Wie sehr hatte ich darauf hingearbeitet, gesucht und gewartet, endlich einen Arzt zu finden, der mir helfen konnte. 
Link zu meiner Odyssee mit Long Covid im Jahr 2021.

Eines von Millionen Einzelschicksalen

Die Studie an der MHH war ein Augenöffner für mich: Bisher war ich ein “Einzelschicksal” gewesen: Die Einzige im Bekanntenkreis, die einfach nicht wieder gesund und leistungsfähig wurde. Wie oft ich hörte – und heute noch höre! –, ich müsse nur Geduld haben oder ich solle mich nicht so haben, ich kann es nicht mehr zählen.

Nun saßen dort fünf andere Frauen – und nur Frauen! –, die ebenso wie ich aus dem Alltag gerissen worden waren. Die wollten, aber nicht konnten. Die bereit waren, alles zu tun, egal was, um wieder gesund zu werden. Die aktiv wurden und sich für ihre Gesundheit einsetzten und damit alles nur noch schlimmer machten.
Und die Erzählung meiner Familie, ich würde nur nicht genug tun, ich würde nur nicht genug wollen, ich wäre einfach nicht gut genug, diese Erzählung, sie bekam große Risse.

Enttäuschungen

Doch substantielle Erkenntnisse brachten die Standarduntersuchungen der MHH nicht. Und die lokale Long-Covid-Ambulanz stellte sich für mich als absolute Pleite heraus. Ich habe heute noch all diese herablassenden Sätze im Ohr wie ”Seien Sie doch mal glücklich mit dem, was sie haben.” oder “Wenn wir etwas für sie tun könnten, würden wir es auch machen.” 

Sie boten mir Gespräche an, aber ich sah keinen Sinn darin, mir einmal im Monat Vorwürfe machen zu lassen. Sie waren sogar verärgert, dass ich mir selbst eine einfühlsame und kompetente Psychotherapeutin gesucht hatte. Anscheinend ging es gar nicht um eine psychologische Betreuung für mich.

Jahre später sollte ich erfahren, dass eine andere Mitarbeiterin dort andere Patientinnen korrekt mit ME/CFS diagnostizierte, Pacing erklärte, Unterstützung anbot.
Mein Leben wäre wahrscheinlich anders verlaufen, wenn ich dort Respekt und eine gute medizinische Betreuung bekommen hätte.

Fehlbehandlungen und Medical Gaslighting

Ich war am Boden zerstört. Ich hatte gehofft, in der Long Covid Ambulanz wenigstens vorurteilsfrei angehört zu werden. Doch die viel größere Enttäuschung kam noch. Allein die Existenz dieser “Anlaufstellen” – alles psychiatrische Ambulanzen, da nur diese gesetzlich möglich waren – erzeugte bei meinen Mitmenschen die Illusion, es würde etwas für Long-Covid- und Post-Vac-Patienten getan.

Ein Großteil dieser “Long-Covid-Ambulanzen” hat den Betroffenen einen Bärendienst erwiesen. Nicht nur erlebten sie Medical Gaslighting und kontraindizierte Behandlungen, die ihre Erkrankung noch schlimmer machten. Diese “Ambulanzen” suggerierten viel zu lange, dass Long Covid und Post Vac ernst genommen würden.

Primum non nocere

Ich verstehe bis heute nicht, warum akute Covid-Erkrankungen nach klinisch etablierten best-practise Methoden behandelt werden, Long Covid aber nicht. Immer wieder wurden bei mir weder Leitlinien noch best-practise Empfehlungen berücksichtigt, z.B. der AWMF. Und erst recht nicht der Grundsatz “Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare”. 
Dieser antike Leitsatz ärztlichen Handelns lässt sich übertragen zu “Erstens [dem Patienten] nicht schaden, zweitens vorsichtig sein und drittens heilen”.

Weder in der Long Covid Ambulanz noch in der Reha wurde darauf jemals Rücksicht genommen. Die Reha ist der größte Fehler, den ich je gemacht habe. Diese vier Wochen sind ein dunkles Kapitel und über dieses werde ich hier schweigen.
Es ist eine Schande, dass Menschen mit PEM in die Reha gezwungen werden, von dafür nicht ausgebildeten Ärzten fehlbehandelt und verhöhnt werden, und dann oft noch fehlerbehaftetes Zeugnis über ihre Gesundheit abgelegt wird. 

Oft heißt es, dies geschehe nicht aus schlechter Absicht, sondern aus Unwissen und Unsicherheit. 
Das ist für mich keine valide Begründung. Eine falsche Behandlung kann irreversible Schäden verursachen, nicht nur bei Long Covid und ME/CFS. Aber dort scheint es gesellschaftlich akzeptiert zu sein.

Ein neuer Tiefpunkt

Nach der Reha hatte ich einen Crash, der mein Leben erneut komplett veränderte. Seitdem kann ich nicht mehr laufen. Ich bin bettgebunden und kann mir nicht mal mehr ein Brot schmieren oder regelmäßig duschen.
Kurz darauf folgte eine weitere dauerhafte Verschlechterung. Mein bisheriger Tiefpunkt. Er dauerte nicht Tage, sondern Wochen. Ich spürte die Energie nur so aus mir raus strömen. Es fühlte sich an, als ob ich eine Klippe runterstürzen würde. Doch bis zum Schluss wusste ich nicht, wie krass der Aufprall werden würde.

Er war katastrophal.
Ich konnte kaum sprechen und musste mir meine wertvolle Energie so einteilen, dass ich sie nicht durch ein durchdachtes Umdrehen im Bett verschwendete.

Konsequenzen

Ich bereue es zutiefst, erst viel zu spät einen ME/CFS-Experten gefunden zu haben, der mich mit ME/CFS und POTS diagnostizierte. Der erste Arzt, der meine Symptome kannte und behandeln konnte. 
Wenn ich diese Mail damals in der Reha abgeschickt hätte, könnte ich heute wahrscheinlich noch laufen.


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